Lektorat - Korrektorat - Formatierung

Rezension „Bomarzo“

DIE FURCHE, Nr. 51/52, S. 29, 19. Dezember 1996

Garten der Geheimnisse

Freuds Traumdeutung und die Rätselmonster von Bomarzo

Von Hellmut Butterweck

„Sacro bosco“, heiliger Wald, aber auch „Park der Monster“ wurde der Schlossgarten von Bomarzo genannt, den Vicino Orsini, Fürst von Bomarzo, im 16. Jahrhundert in 20 Jahren schuf. Extravaganz war etwas, worum sich die Schöpfer der Gärten italienischer Fürsten generell bemühten, doch die Extravaganz des Gartens von Bomarzo überforderte Zeitgenossen wie Nachgeborene. Es gibt bis heute keine überzeugende, nachvollziehbare Deutung dieser Ansammlung riesenhafter exotischer Tiere, aus der Erde auftauchender Fischmäuler, köperloser Köpfe, kunstvoll baufälliger Architekturen und so weiter, und so fort. Salvador Dali sah darin eine Vorwegnahme des Surrealismus, was insofern die neue, von Gunda Hinrichs vorgelegte Bomarzo-Theorie untermauert, als sich auch der Surrealismus als dem Traum entspringende, im Traum wurzelnde Kunst versteht. Die Autorin rückt dem Geheimnis des Waldes von Bomarzo nicht mit den Werkzeugen der Kunsthistoriker, die bisher von diesem Rätsel abprallten, sondern auf völlig neue Weise zuleibe. Nämlich, indem sie die Monster im Wald der Geheimnisse als gelebten, nach außen projizierten Traum versteht und unter konsequenter Anwendung der Freudschen Psychoanalyse zu entschlüsseln versucht.

Sigmund Freud hätte sich über dieses Buch wahrscheinlich sehr gefreut, denn es wird nicht nur seine Methode korrekt angewendet – er hätte sich auch schwerlich ein überzeugenderes Ergebnis wünschen können. Wir können es hier nur in aller Knappheit wiedergeben, doch das wenige sollte genügen, um historisch interessierte Psychoanalytiker sofort nach diesem Buch greifen zu lassen.

Gunda Hinrichs konnte den Fürsten Orsini selbstverständlich ebenso wenig auf die Couch legen wie Freud weiland Leonardo da Vinci. Doch sie untersuchte Orsinis Biographie, die durch zahlreiche erhaltene Briefe aus seiner und seiner Freunde Feder erschlossen ist, und wurde auf eine auch und gerade für das späte zwanzigste Jahrhundert faszinierende Weise fündig: Die für das Ergebnis entscheidenden Traumata sind der frühe Verlust der Mutter (ein klassischer, häufig anzutreffender Befund) – sowie, vor allem, schwere Schuldgefühle wegen der, heutig gesprochen, Kriegsverbrechen, an denen der Fürst mit Sicherheit als Zeuge, aber höchstwahrscheinlich auch als Mittäter, beteiligt war.

1557 lockten die Bewohner von Montefortino eine Kompanie Orsinis in einen Hinterhalt und töteten sie bis auf wenige Mann. Als Vergeltung wurde, durch päpstlichen Befehl nur teilweise gedeckt, Montefortino bis auf die Grundmauern vernichtet und die gesamte Bevölkerung einschließlich aller Frauen und Kinder ermordet: eine Vorahnung von Oradour. Die Zeitzeugen waren entsetzt, Orsini kam als Gezeichneter aus dem Krieg, zog sich nach Bomarzo zurück und litt lebenslang an Phasen von Melancholie, die immer schwerer wurden.

Ein Kulminationspunkt der Untersuchung ist ein Satz über eine der Figuren: „Dieser Roland scheint den Widerspruch von humanistisch aufgeklärtem Geist und unmenschlicher Brutalität zum Ausdruck zu bringen, den Orsini in sich selbst nicht aushalten konnte, nachdem er als wahrhaft gebildeter Mensch mit der Bestie in sich konfrontiert worden war.“

Ob diese Deutung das letzte Wort ist oder nicht, sie enthüllt die aktuelle, uns angehende Dimension des Kunstwerks: Orsini blieb sich die Schuldgefühle, die so vielen unserer Zeitgenossen fehlen, nicht schuldig.

Gebr. Mann Verlag Berlin 1996, 102 Seiten, 76 Abb., 8 farbig, Ln, öS 1.445,-

Klappentext:

Sacro Bosco oder Park der Monster wird der bis heute rätselhaft gebliebene, zum ehemaligen Kastell der Orsini gehörende Schlossgarten von Bomarzo genannt. Sein Erbauer Vicino Orsini (1523-1588), der sich bei näherem Hinsehen als eine abgründige Legierung aus Aristokrat, Künstler, Philosoph, Anarchist und Neurotiker entpuppt, schuf in 20jähriger Arbeit ein Panoptikum von extraordinär-monströsen Skulpturen, das nirgendwo seinesgleichen hat und das durch die monumentale Größe und sonderbaren Motive der dargestellten Figuren Kunsthistoriker wie Touristen gleichermaßen verwirrt und ratlos macht. Dieser Heilige Wald fällt vollkommen aus dem Rahmen herkömmlicher Renaissancegartengestaltung und erlaubt in seiner regellosen Gestalt ohne erkennbare Logik und innere Stimmigkeit offenbar keine vernünftige kunsthistorische Deutung. Weder mit ikonographischer noch ikonologischer Methode kam man dem Verständnis des Ganzen bisher wesentlich näher. Fruchtbarer dagegen erschien es, den Garten wie einen Traum zu behandeln, dessen manifeste Oberfläche den Sinn nicht preisgibt, dessen Gestalten und Elemente zwar dem zeitgenössischen Motivrepertoire entnommen sind, in der Bedeutung ihrer Verwendung aber allein den Schöpfer des Gartens betreffen. Die Rekonstruktion der Orsini’schen Lebensgeschichte und eine daraus abgeleitete Deutung des Gartens auf der Basis psychoanalytischer Theorie führt zu einer sensiblen Lösung. Der Park erweist sich so als frühes Zeugnis einer radikal entäußerten Empfindsamkeit.

Eine Kurzfassung des Buches bietet der unten einsehbare Zeitschriftenaufsatz „Rätsel des Manierismus und Tiefenpsychologie“.